ACHTUNG, gefährliche Haustiere?

Am 29.11.2016 sendeten die ARD-Sender WDR, SWR und ARD-Alpha in der Reihe „Planet Wissen“ ein einstündiges Magazin zum Thema „Achtung, gefährliche Haustiere“. Hier der link zur Sendung:

http://www.planet-wissen.de/video-achtung-gefaehrliche-haustiere-100.html

So lautete jedenfalls der Titel, und so wurde es im Teaser-Filmchen auch angekündigt.
Danach begrüßte Moderator Jo Hiller als ersten Studiogast die Terrarianerin und Zoofachhändlerin Nina Freitag, deren – durchaus vorbildliche – Terrarienanlage in einem Einspielfilm vorgeführt wurde. Das war durchaus informativ, einzig: Kein einziges gefährliches Haustier war zu sehen. Denn Frau Freitag hält offenkundig ausschließlich harmlose Terrarientiere: Bartagamen, Königspythons, Eierschlangen. Die beiden „gefährlichsten“ Tiere, die gezeigt wurden, waren eine Riesenvogelspinne und Riesenskorpion – beides Arten mit dem Bedrohungspotenzial einer Biene und unterhalb eines mittelgroßen Hundes oder einer Katze. Das wäre ja nicht weiter problematisch gewesen, wenn nicht der Kommentar (und die dramatisierenden Soundeffekte) in einem fort den Eindruck vermittelt hätten, dass es sich eben tatsächlich um gefährliche Tiere handelt. So wurde gleich zu Beginn ein völlig verzerrter Eindruck erzeugt.

Leider krankte auch die weitere Sendung an genau dieser Unschärfe. Man hatte, auch bei allen folgenden Gesprächen, den Eindruck, dass der Moderator so schlecht vorbereitet war, dass er selbst einfach den Unterschied zwischen harmlosen Terrarientieren und tatsächlich gefährlichen Tieren schlicht nicht kannte. Für ihn schien einfach jede Schlange gefährlich zu sein. Er sprach die ganze Zeit mit Frau Freitag so, als habe diese gefährliche Tiere, und die unterließ es leider, dem deutlich zu widersprechen. Ein exotisches Tier ist aber nicht gleich ein gefährliches Tier. So dürften sich nach dieser Sendung womöglich zahlreiche ganz normale Terrarianer, die harmlose Tiere wie Bartagamen oder Königspythons pflegen, von ihren Nachbarn oder Kollegen plötzlich der Frage ausgesetzt sehen, warum sie denn so gefährliche Tiere zu Hause pflegen. Diese mangelnde Trennschärfe zog sich durch die gesamten 60 Minuten. In einem Beitrag, der die Rechtslage zur Gefahrtierhaltung in den Bundesländern darstellte, wurden als Hintergrundbilder dauernd harmlose Königspythons verwendet, obschon die nirgendwo als „gefährliche Tiere“ gelten. Auf dem Höhepunkt der Verwirrung befand sich die Konfusion, als Jo Hiller Nina Freitag fragte, was sie denn mache, wenn durch das geplante Gefahrtiergesetz in NRW ihre Tierhaltung dann verboten würde. Allerdings wäre auch nach den bislang vorgelegten Entwürfen des Gefahrtiergesetzes in NRW wohl keines ihrer Tiere davon betroffen, weshalb die Diskussion etwas ziemlich Absurdes hatte.

Auch an anderen Stellen kam es zu solchen Vermischungen: Bei der Debatte um die Gefahr Dritter durch entkommene gefährliche Tiere wurde nicht nur die seit zehn Jahren ausdauernd gezeigte und mittlerweile schon fast zur Folklore gehörende „Mühlheimer Kobra“ präsentiert, sondern wiederum ein Königspython und eine eher kleine Boa, die allerdings trotz gegenteiligen Filmbeweises als „riesig“ angekündigt wurde. So verantwortungslos es ohne jede Frage ist, wenn Haustiere – egal welcher Art! – ausgesetzt werden, so wenig hat ein im Freien herumkriechender Königspython etwas mit „gefährlichen Tieren“ oder der Frage nach einer Fremdgefährdung unbeteiligter Menschen zu tun – es sei denn, durch Sendungen dieser Art werden die Leute so hysterisch, dass sie vor lauter Schreck über die harmlose Schlange zu Schaden kommen.
Ähnlich kunterbunt durcheinander ging es beim Thema geschützte Arten: Nachdem mit den exorbitanten Preisen, die für geschmuggelte Tiger oder Orang-Utans (allerdings wohl kaum für die private Haustierhaltung in Deutschland) Stimmung gemacht wurde, traten dann plötzlich Tiere wie Grüne Leguane oder Madagaskar-Taggeckos im Beitrag auf, die zwar geschützt sind, aber problemlos und legal bei uns gehalten werden, weil sie in großen Stückzahlen nachgezüchtet werden.
Ärgerlich waren Falsch-Informationen, die von Tierschützern einmal mehr ins Spiel gebracht wurden. So war als zweiter Gast der Tierarzt Dr. Ralf Unna vom Landestierschutzbund NRW im Studio, der erst einmal – allerdings durch eine wohl eher ungeschickte Formulierung – den Eindruck erweckte, Terrarientiere, die zu Tierbörsen gebracht würden, überleben diesen Ausflug zu 50 % gar nicht: „Die Hälfte kommt nur an, die andere verstirbt auf dem Transport“. Das ist natürlich Unsinn, auf dem Transport von und zu Börsen verstirbt normalerweise kein einziges Tier. Das weiß natürlich auch Unna, an späterer Stelle in der Sendung wurde deutlich, was er wohl sagen wollte: Dass von Wildfängen jedes zweite Tier oder gar zwei von drei Tieren auf dem Transport versterben. Das stimmt allerdings auch nicht. Derartige Zahlen geistern immer wieder durch die Argumentationen von Tierhaltungsgegnern – nur entbehren sie jeder Grundlage, jedem Erfahrungswert und auch jeder wirtschaftlichen Vernunft, denn natürlich wäre ein Handel auf einer solchen Grundlage völlig unwirtschaftlich. Die Zahl stammt vermutlich aus einer Veröffentlichung von Tierrechtlern in den USA, die einen Einzelfall (!) eines offensichtlich kriminellen Tierhändlers dokumentiert hatten. Daraus kann aber natürlich nicht geschlossen werden, dass solche Mortalitätsquoten auch nur näherungsweise üblich sind. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema zeigen vielmehr Mortalitätsraten auf dem Transport von unter 5 %, die eher an die natürliche Sterblichkeitsrate heranreichen. Auch die genannte Zahl von 80.000 giftigen Tieren in NRW ist reine Spekulation, da es keinerlei Anhaltspunkte für solche Schätzungen gibt. Die Tiere sind ja weder meldepflichtig noch geschützt, man weiß also schlicht nicht, wieviele Gifttiere dort gehalten werden. Sollte die Zahl zutreffen, wäre das aber ein sehr gutes Argument, die Haltung eben nicht zu verbieten, weil sich sonst die Frage nach der Unterbringung noch dringender stellen würde, als ohnehin schon und die so oder so für das Land oder die Kommunen wohl ziemlich teuer werden dürfte.
Dr. Unna zeigte sich im Gespräch zwar durchaus nicht grundsätzlich negativ gegenüber der Haltung von Terrarientieren eingestellt, fiel aber doch durch einige sehr undifferenzierte, zweifelhafte Aussagen auf. Neben der schon erwähnten falschen Information zur angeblichen Transportmortalität erstaunt hier besonders seine Attacke auf die Amtsveterinäre von Hamm, denen er gleich zweimal die fachliche Kompetenz in Sachen Terrarientiere absprach. Dabei dürfte es nach über zwanzig Jahren „Terraristika“ wenig Veterinäre geben, die sich intensiver mit dieser Problematik beschäftigt haben und die nach allgemeiner Meinung in Fachkreisen durchaus als kompetent in Sachen Terrarientiere zu gelten haben als die Hammer Kollegen. Aber dass sie genau deswegen nichts Grundsätzliches an der Börse auszusetzen haben, passt den Börsengegnern – auch Dr. Unna forderte ein Verbot – natürlich nicht ins Konzept – da wird ihnen halt einfach mal jedes Urteilsvermögen abgesprochen.
Insgesamt bleibt festzuhalten: Eigentlich war die Sendung gar nicht so undifferenziert. Dass hier auch Wildtierhaltungsgegner zu Wort kamen und ihre Meinung sagen konnten, ist ja nicht zu kritisieren, da auch die Gegenseite gehört wurde. Auch bei den Filmbeiträgen war in der Gesamtheit das Bemühen zu spüren, alle Seiten zu berücksichtigen. Und nur zustimmen kann man dem Schlussplädoyer des Moderators, dass jeder gut überlegen sollte, ob er die Verantwortung übernehmen will für gefährliche Tiere – nur zeigt sich genau hier das grundlegende Manko des Beitrags: was sind denn nun „gefährliche Tiere“? Die Mehrzahl der in diesen 60 Minuten gezeigten Tiere jedenfalls sicherlich nicht.
Es wäre wünschenswert, wenn die beteiligten Sender beim nächsten Versuch, sich des Themas anzunehmen, auch eine wirklich kompetente Person aus den Fachverbänden hinzuziehen. Dann wären zumindest die doch recht zahlreichen kleinen Ungereimtheiten und sachlichen Fehler zu verhindern gewesen, die wir hier gar nicht alle aufzählen wollen. So bleibt leider als Resümee, dass diese Sendung eher zur Verunsicherung der Zuschauer beigetragen haben dürfte, die nun erst recht nicht mehr wissen, was ein gefährliches Tier ist und was nicht.
Dabei war es Dr. Unna, der wohl eher versehentlich die beiden wichtigsten Erkenntnisse formulierte: Gefragt nach dem gefährlichsten Tier, mit dem er es in seiner Praxis bislang zu tun hatte, antwortete er spontan mit „ein Rottweiler“, was angesichts des tatsächlichen Gefährdungspotenzials der allermeisten Terrarientiere wohl auch richtig gewesen sein dürfte. Und bei seiner Forderung, gefährliche Tiere für die Haltung zu verbieten, sagte Unna: „Wenn wir über andere Gegenstände sprechen, die potenziell lebensgefährlich sind, wird das jeder sofort verstehen.“ Richtig. Denn der potenziell lebensgefährlichste Gegenstand, mit dem die meisten Menschen am häufigsten zu tun haben, ist das Auto. Wie unsinnig also die Forderung nach einem Verbot ist, wird tatsächlich jeder an diesem Beispiel sofort verstehen.